Das Buch

WELT WEIT WEG    Camper, Cockpit & Kajüte

Wie er Träume verwirklichte und Abenteuer überlebte, beschreibt ein Globetrotter, der es viermal um die Welt schaffte… über Land, durch die Luft und auf dem Wasser.
Als er 1973 von der Karriereleiter sprang, und als junger Ingenieur mit dem Camper auf Weltreise ging, hielten ihn seine Freunde für verrückt.
Sie schüttelten den Kopf, als er 1992 mit einer Einmotorigen zum Tiefflug um die Welt abhob und es 1996 ein zweites Mal wagte.
Seine Weltumsegelung rieten sie ihm aufzugeben, als er 2001, mit einer Piratenkugel in der Brust, ums Überleben kämpfte.
2004 dachte er ans Aufgeben, als er den Jahrhundert-Tsunami in Thailand überlebte - gab aber nicht auf.
Weltweit berichteten die Medien über seine Abenteuer. U.a. der Spiegel, bei RTL, im mexikanischen und chinesischen TV, sowie in der WDR-Sendereihe Menschen hautnah „Der Piratenüberfall“.

Segler und Autor Klaus Hympendahl in seinem Buch ‚Yacht-Piraterie‘: „Dieter Langer ist ein Abenteurer, ein Sohn Jules Vernes. Ein Globetrotter par excellence. Ein Mann, den immer das interessiert, was sich hinter dem Hügel verbirgt.“

480 Seiten weltweite Abenteuer zu Land, Luft und Wasser, mit farbigen Bildern und Karten.
Herausgeber: Wolfgang Te Breuil
Erstausgabe: 2015
Cover-Design & Photo: Rian Heller


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Über den Autor

Dieter Langer, geb. 1944, ist Ingenieur. Er lebte und arbeitete in Deutschland, Kalifornien, Mexiko und der Schweiz. Abenteuer und Reisen sind seine Leidenschaft, über die weltweit in den Medien berichtet wurde: Fallschirmsprünge auf vier Kontinenten, Flüge mit dem Sportflugzeug um die Welt und ein Piratenüberfall in Ecuador, den er „am seidenen Faden“ überlebte. Er schrieb Artikel für Fachzeitschriften als Ingenieur und Abenteurer, und in englischer Sprache sein erstes Buch: „The Trip, a year long flying odyssey Around-the-World.“

Heute lebt der Autor in Düsseldorf und teilt seine Erlebnisse und Erfahrungen mit Lesern und Zuhörern.

Inhaltsverzeichnis

Mitten auf dem Südatlantik

13

8. Juli 2009
Achter Geburtstag 13
Im Riff auf den Malediven 22
Flug durch die Hölle 29
Schwarze Reiter im Hindukusch 38
Geweckt von Delfinen 55
Ruf der Freiheit 58

Weltreise mit dem Camper

68

Mit den Füßen auf der Erde, 1973 - 1975,
Der Sonne entgegen 71
Scheibensalat in der Türkei 72
Persien vor dem Umsturz 75
Afghanistan nach dem König 81
„Links! Links!“ in Pakistan 85
Auf dem Dach der Welt 86
Indien, Land der Emotionen 88
Mann über Bord im Indischen Ozean 92
Multikulti in Malaysia 94
Thailand immer lächelnd 96
Krieg in Laos 98
Bali, ein wenig ist genug 100
„Mal schnell“ nach Hause 102
USA, Paradies für Camper 105
Fiesta Mexicana 109
Feuer auf der Panamericana 116
Mit dem Frachter nach Südamerika 120
Kolumbien, von Drogen keine Spur 123
Höhenprobleme in den Anden 125
Trümmer unter der Motorhaube 128
Machu Picchu ohne Auto 131
‘Hände hoch!’ in Argentinien 133
Tief im Straßengraben 138
Camping an der Copacabana 141
Glücksspiel an den Iguazu-Wasserfällen 142

Feuer auf dem Meer

145

544 Seemeilen bis Brasilien
 
Mit Himmelsabenteuern Geld verdienen 148
Fallschirmsprung am seidenen Faden 154
Spanisch, auf der Uni in Mexiko 159
Goldsuche in Alaska 163
6120 Meter hoch im Himalaya 169
Berufsabenteuer 175
Russisch Roulette in New York City 178
AeroManiacs, die Luftverrückten 182
Raue See & Harte Zeiten 192

Abenteuerflug um die Welt

202

Aus der Vogelperspektive, 1973 - 1975,
 
Cleared for Take-Off 205
Tief im Grand Canyon 206
Mitten durch New York City 210
Eiskalter Atlantik 212
Grönland, Landung im Flussbett 214
Vereisung in der Luft 217
Beautiful Old Germany 220
Karpathos, windige Insel 226
Ägypten, Insha Allah 228
Geheimflug in den Jemen 236
Felix Arabia 242
Qat-Session mit den Flugleitern 246
Mit Autobenzin in den Oman 249
Indien, Flug in die Bürokratie 252
Nepal, auf dem Dach der Welt 257
Im Land des Lächelns 259
Ein Bananenblatt tut’s auch 262
Monsun über Java 264
Im freien Fall über Bali 266
Mit Straßenkarte zum Ayers Rock 268
Opale in der Wüste 270
Flugzeug ohne Pilot über Sydney 272
Im ‚deutschen’ Barossatal 276
Schafherdentreiben aus der Luft 279
Passion Palace, just one more time 281
Zusatztanks für den Pazifik 285
Dschungelflüge in Papua-Neuguinea 287
Rabaul, Perle des Südpazifiks 291
Wasserschlacht über den Salomonen 293
Ovalau, Insel des letzten Fidschikönigs 295
Samoa, „Aller guten Dinge sind Drei! 297
Kiritimati, Insel der roten Krabben 303
21 ½ Stunden in der Luft 306

Auf den Wellen der Kulturen

312

305 Seemeilen bis Salvador
 
Beidrehen & Beiliegen 312
Drogen in Mexiko 315
Projekt Olympische Spiele 319
Falsches Gepäck & kleine Nuancen 322

Flight of Beauty um die Welt

332

Jagt auf Olympioniken, 1996,
 
Nordamerika und der Pazifik 335
Ein ‘verlorener‘ Tag 337
Monsun über Singapur 339
Scheich Mohamed springt aus dem Flugzeug 340
Von Athen bis Atlanta 346

Wind der Veränderung

353

Die letzte Nacht auf See
 
Leben & Loslassen 353
Südseeträume 360
Vogelgezwitscher & Luftkampf 364

Segelreise um die Welt

370

Getrieben vom Wind, 2000 - 2009
 
Feuerwerk zum Abschied 373
Seekrank nach Mexiko 374
Eine Nacht auf der Sandbank 378
Erdbeben auf See 385
Piratenüberfall 390
Operation am Herzen 398
Allein in die Südsee 400
Iles Marquises 405
Sturm in den Tuamotu 408
Mastbruch auf Raiatea 415
Haie in Mopelia 416
Blinder Passagier in Tonga 420
Segelregatta nach Port Vila 424
Versunkene Perle 427
Eremiteninsel Luf 429
Über Mikronesien in die Philippinen 434
Holzarbeit auf Borneo 437
Mordsverkehr in Singapur 438
Tsunami in Thailand 440
Drei lächelnde Jahre 443
Leinen los! 447
Monster auf dem Meer 451
Treffpunkt 4° 56’ Nord, 80° 30’ Ost 453
Malediven, Seychellen & Komoren 455
Madagaskar, wo der Pfeffer wächst 459
Guano auf Juan de Nova 461
Mosambik 462
Wetterfenster in Südafrika 465
Verbannt auf St. Helena 470
Brasilien 471
Sonne in Deutschland 473
Der letzte Törn 475
Leseprobe

Ein Wort vorweg
Als ich 1993 über den Sydney-Writers-Walk in Australien promenierte, entdeckte ich zu meinen Füßen ein Zitat von Jack London. In Messing verewigt, standen Worte, die meiner Lebensphilosophie entsprachen:

„I would rather be ashes than dust,
a spark burnt out in a brilliant blaze,
than be stifled in dry rot
For man’s chief purpose is to live,
not to exist;
I shall not waste my days trying to prolong them;
I shall use my time.

In freier Übersetzung schrieb ich ins Logbuch:

Lieber wäre ich Asche als Staub,
ein Funke verbrannt in einem leuchtenden Feuerwerk,
nicht verrottet im Trockenen
Denn des Menschen Bestimmung ist zu leben,
nicht zu existieren;
meine Tage werde ich nicht verschwenden, um sie zu verlängern;
ich werde sie leben.

In diesem Sinne, liebe Leser, wünsche ich Ihnen ein angenehmes Herzklopfen beim Abbrennen des Feuerwerks.
Dieter Langer

 

Mitten auf dem Südatlantik

8. Juli 2009

 

‚Ala Di Sabah‘

 

Achter Geburtstag

       Tiefblaue See und hellblauer Himmel - bis zum Horizont. Mein Blick übers Meer bleibt ungebrochen. Nirgends eine Insel, kein anderes Boot. Seit dreizehn Tagen bin ich keinem Schiff mehr begegnet und werde das Gefühl nicht los, der Einzige auf dem Südatlantik zu sein. Allein mit Ala di Sabah. Ihre Segel stehen im Wind, kein Zerren oder Schlagen in der Takelage. Ruhig gleitet sie durch die Wellen, über einen Ozean, der nicht enden will. Seine Größe messe ich in Wochen, kämpfe mit Tagen quälender Einsamkeit.
       Schönwetterwolken beleben meinen Tag und der Blick in den Himmel regt meine Fantasie an. Ein Papagei mit krummem Schnabel schwebt vorüber und die nächste Wolke ist ein auf dem Rücken liegender Bär. Er lacht sogar. Ein fliegender Teppich mit vielen Fransen zieht vorbei und jede fünfte Wolke ist ein springender Delfin, was an meiner Liebe zu den verspielten Tümmlern liegt.
       In meiner Fantasie setze ich mich auf die Wolke über mir und schaue aufs Meer. Im tiefen Blau unter mir ein romantischer Zweimaster mit rostbraunen Segeln und ein Segler, der träumend auf Deck liegt. Mein Traumbild.
       Drei Jahre belebte es meine Fantasie, dann lag er vor mir, mein Traum. Im Yachthafen von Long Beach im sonnigen Kalifornien, vor zehn Jahren. Ein sechsunddreißig Jahre alter Zweimaster aus Holz, im klassischen Clipperdesign. Made in Japan. Die Masten aus lackierter Rottanne, der Rumpf aus Eiche mit Mahagoniplanken und ein ebenes Deck aus geschliffenem Teakholz. Winden, Schiffsglocke und Kompass glänzten in poliertem Messing, wie auch die Öllampen und kleinsten Verschlüsse unter Deck. Im Salon war ich von matt lackiertem Mahagoni umgeben und dunkelgrüne Samtkissen versprachen ein wohliges Zuhause. Es gab kein Zurück mehr, ich hatte mich in sie verliebt. Du und ich, versprach ich ihr, wir werden um die Welt segeln.
       Alles an ihr entsprach meinen seglerischen Vorstellungen: zehn Meter Rumpflänge, mittelgroße Segelfläche, großes Cockpitdeck und eine hübsche Kajüte. Nur der Bootsname, der passte nicht zu mir und meiner Reise. Mit einer Seeprinzessin wollte ich nicht um die Welt segeln. Beim zweiten Glas Rotwein fand ich den Bootsnamen, der meine bevorstehende Segelreise mit Worten beschrieb: Ala di Sabah.
       Ala heißt auf Spanisch Flügel und wie auf Flügeln wollte ich die Welt umsegeln. Mit gleicher Leichtigkeit, wie ich zuvor die Welt umflogen hatte.
       Di ist Italienisch, bedeutet Zugehörigkeit. Es verbindet die Tat mit dem Schönen, verband mich und mein Boot.
       Sabah ist auf Arabisch der goldene Sonnenaufgang und wird oft als Mädchenname benutzt. Zwei Dinge verbanden mich mit dem Wort. Eine syrische Freundin hieß Sabah und ich träumte seit langem vom  Sonnenaufgang über dem Meer.
       Ala di Sabah – Auf den Flügeln der golden aufgehenden Sonne.
       Du musst noch Kurs und Position checken, befiehlt der Skipper oder ist es Ala di Sabah die zu mir spricht? Wer immer mich ruft, die Pflicht beendet meinen träumenden Blick in die Wolken. Hinunter geht’s die Niedergangstreppe in den Salon und an den Navigationstisch. Das GPS zeigt 784 Seemeilen bis Salvador de Bahia und mit dem jetzigen Wind sind es noch sieben Tage bis Brasilien. Heute ist Mittwoch, der 8. Juli 2009. Dann wäre ich ... .

 

 

35 Tage auf dem Südatlantik


       „Moment! bricht‘s aus mir heraus. „Heute ist der achte Geburtstag meines zweiten Lebens.
Mit drei Sprüngen bin ich wieder im Cockpit, umarme den Besanmast und küsse sein lackiertes Holz, küsse meine Ala di Sabah.
       „Ala di Sabah, erinnerst du dich? Heute vor acht Jahren! Wir beide müssen feiern.
       Zurück im Salon, greife ich zu den alten Aufzeichnungen, einschließlich der Kugel. Mit dem Logbuch in der linken und einer Dose Bier in der rechten Hand geht‘s hoch ins Cockpit. Meinen Hintern drücke ich in den Beanbag und meine Augen fliegen über die Zeilen vom 8. Juli 2001:
       ‘... blickte ihnen keuchend hinterher. Das Wichtigste hast du geschafft. Die Piraten sind von Bord. Dann verließen mich meine Kräfte. Ich sackte auf die Knie, kippte zur Seite und schloss die Augen. Ruf um Hilfe, weckte mich mein Unterbewusstsein. Auf allen Vieren versuchte ich das Funkgerät zu erreichen, aber wahnsinnige Schmerzen lähmten meine Arme. Ich verharrte auf den Knien und schaute auf mein blutverschmiertes T-Shirt. Dunkles Blut tropfte aus meiner Brust. Dann sah ich das Einschussloch.
       Kopfschüttelnd schiebe ich das zerfledderte Logbuch unter den Beanbag und lasse die Kugel in meine rechte Hand fallen. Eine Kugel hat mich getroffen, schrieb die Presse, nur ist das Geschoss so groß wie das letzte Glied meines kleinen Fingers und schwerer als eine Euromünze. Wieder schaue ich mir den Kratzer am Geschoss an, den meine Rippe im Blei hinterlassen hat. Es ist der Bruchteil eines Millimeters, den meine Rippe das Geschoss ablenkte und mir das Leben rettete. Erinnerungen schießen mir durch den Kopf, voran das Glück, das ich damals hatte. Verdammt viel Glück. Folgte dem Schuss doch ein Martyrium, das so grausam wie der Überfall war. Eine Nacht, in der ich mich dreimal vom Leben verabschiedete.
       Gedankenversunken öffne ich die Bierdose und zischend spritzt der Schaum übers Deck. Macht nichts, meine Ala di Sabah soll mitfeiern.
       „Lass es dir schmecken, meine Liebe, um dich hatte ich auch Angst. Wusste ja nicht, ob die Piraten zurückkommen.
       Erfrischend ist der erste Schluck und dankbar gebe ich Neptun ein Schlückchen über die Reling. Mein zweiter Schluck ist ein kräftiger und schöne Erinnerungen weckt er. Wundervolle Segeljahre folgten dem Piratenüberfall: der Törn in den Südpazifik, durch die Inselwelt Asiens in den Indischen Ozean und ums Kap der Guten Hoffnung in den Südatlantik.
        Krachend fliegt der Angelalarm übers Deck, fegt meine Erinnerungen ins Meer. Mit einem Hechtsprung bin ich an der Angelleine. Der Zug an der Leine ist nicht überwältigend, aber auch kein Kinderspiel. Fünf bis sechs Kilo hat der Bursche mindestens.
       „Ich werde dich tanzen lassen, bis du müde bist“, rufe ich ihm entgegen.
        Wieder höre ich mich laut reden, empfinde aber keine Scheu mehr meine Gedanken auszusprechen. Nach Wochen allein auf See, ist die Einsamkeit kaum noch zu ertragen. Ich spreche mit mir selbst, mit Ala di Sabah, zu den Fischen und zum Meer. Heute Nacht habe ich dem Besanmast mit Worten gedankt, dass er mir in der Nacht ein sicherer Halt ist. Besser laut reden als schweigend übers Meer zu starren und sich die Gedanken verwirren lassen. Nur frage ich mich, ob mein Verhalten noch normal ist. Werde ich langsam verrückt? Es gab ja einige Segler, die nach Wochen allein auf hoher See verrückt wurden. Ihre Boote wurden unversehrt gefunden, die Segler nie. Nur die immer wirrer werdenden Eintragungen im Logbuch wiesen darauf hin.
       „Ist nicht böse gemeint mit dem tanzen lassen“, entschuldige ich mich beim Fisch und ziehe ihn langsam ans Boot. Hand über Hand lasse ich die Angelleine aufs Deck fallen, bringe dreißig Meter mühelos ein. Dann beginnt unser Zweikampf. Verzweifelt versucht mein Fang nach rechts und links auszubrechen. Den schneidenden Schmerz in den Händen kann ich kaum noch ertragen, habe aber keine Hand frei, den schützenden Lederhandschuh zu greifen. Als würde der Fisch meine Schmerzen spüren, erhöht er seine Zugkraft. Die Leine gleitet durch meine Hände und in Verzweiflung lege ich drei Windungen um den Seilpin, an dem ich mich festhalte. Damit ist die Leine arretiert. Wenn er jetzt seine Chance wahrnimmt, kann er auf mich zuschwimmen und den Haken auswerfen. Hastig streife ich den rechten Lederhandschuh über und greife zur Leine. Spannungslos hängt sie im Wasser.
       „Er hat den Haken ausgeworfen.
        Plötzlich ein kräftiger Ruck und ich muss mich am Pinbrett festhalten, um nicht über Bord zu fallen.
       „Er hängt noch am Haken!
       Einige Minuten kämpft er kraftvoll, versucht in die Tiefe zu entkommen. Dann taucht er ermüdet auf und am Ende der Leine blitzt es blaugrün, eine Golddorade. Auf zehn Meter kann ich sie heranziehen, dann taucht sie ab, versucht unter dem Boot zu entkommen. Ich lasse sie kämpfen, bis ihre Ausbrüche schwächer werden. Mühelos kann ich sie ans Boot ziehen, doch als sie mich wahrnimmt, wird ihr Kampf wild, die Zugkraft gewaltig. Die gespannte Leine um die rechte Hand gewickelt, gehe ich mittschiffs, lasse ihr keine Chance, auf die andere Seite des Kiels zu schwimmen. Ihr dunkelgrüner Rücken schießt am Boot entlang, und immer öfter zeigt sie ihren hellen Bauch, legt sich erschöpft auf die Seite.
       Auch ich werde schwächer, muss mich am Pinbrett abstützen, um ihren Kopf aus dem Wasser zu ziehen. Kraftvoll wirft sie den Kopf hin und her, während ich versuche, das Gaff in ihre Kiemen zu setzen. Fünf Minuten dauert unser Kampf, dann sitzt der Haken. Platschend landet sie auf dem Deck. Sofort werfe ich ein Handtuch über sie und mich auf sie. Ihr kraftvoller Tanz übers Teakdeck endet. Trotz des Leinengewirrs in meinen Händen kann ich die Flasche puren Alkohols greifen und schütte ihr eine Ladung in die Kiemen. Ein letztes Mal bäumt sie sich auf, dann schläft sie ein.
       Triumphierend lasse ich mich in den Beanbag fallen, bin erleichtert, die Trophäe auf Deck zu haben. Goldglänzend liegt sie neben mir, wird mir für die nächsten Tage das Menu verfeinern.
       Ermüdet vom Kampf, schließe ich die Augen für ein Nickerchen.
       Der Warnton des Tiefenmessers reißt mich aus dem Schlaf und auf die Füße. In Panik schaue ich übers Meer und ins Wasser. Unendliche Tiefe ist unter mir. Ich renne übers Deck auf die Bugspitze, auch hier nur tiefblaue See. Weiterhin piept der Alarm. Ich springe aufs Kabinendach, halte mich am Großmast fest und beobachte die Wellen. Jede Schaumkrone erscheint mir plötzlich als brechende Welle. Das ist unmöglich, hier kann kein Riff sein.
       Bleib ruhig, Dieter, es wird ein Fischschwarm unter dem Boot sein.
       Das Meer im Auge behaltend, hangle ich mich ins Cockpit zurück. Der Tiefenmesser piept im Dauerton, zeigt zwanzig Meter. Kurzzeitig drei Querbalken ohne Alarm, dann erneutes Piepen und fünfzehn Meter auf der Anzeige.
       Was ist unter mir los?
       Querbalken auf dem Tiefenmesser bedeuten mindestens zweihundert Meter Wassertiefe und die Seekarte zeigt zweitausend. Doch weiterhin piept der Tiefenmesser, so erschreckend wie ein Rauchmelder, der einen um Mitternacht aus dem Schlaf reißt. Endlich stoppt er, das Display zeigt wieder Querbalken.
       Dieser verdammte Piepton, sofort hat er mich wieder ans Riff vor einem Jahr erinnert. Fünf Minuten braucht mein Herz sich zu beruhigen, dann lasse ich mich wieder in den Beanbag fallen, in meinen mit Styroporkugeln gefüllten ‚Bohnensack‘, in dem ich so gemütlich liege wie auf der Couch. Gespannt auf die Fortsetzung, greife ich zum Buch, das mir seit Tagen Freude bereitet, Wendekreis des Krebses von Henry Miller. Bewundernswert ist sein Werk, weil er mich herausfordert über mein Leben nachzudenken. Vieles, was ich als normal empfinde, stellt er in Frage. Genießerisch ist es, weil er seine sexuellen Abenteuer tabulos mit seinen Lesern teilt. Für mich als Einhandsegler ein unterhaltsames Buch, da es auf den langen Passagen meine Fantasie belebt.
       Die Buchseiten färben sich rot, werden vom letzten Tageslicht erhellt. Ich klappe das Buch zu und genieße den feurigen Farbwechsel am Himmel. Die Farbspiegelungen auf dem Meer lassen das Wasser brennen, doch leider nur kurz. Wenig Zeit bleibt mir die Farbenvielfalt zu genießen, da der Sonnenuntergang nah am Äquator schnell vorüber ist. Innerhalb von Minuten versinkt die Sonne am Horizont.
       Jetzt beginnt der gemütliche Teil der Nachtwache. Müde bin ich noch nicht, will mich aber zurückziehen, möchte Wind und Wellen für einige Zeit vergessen. Hinunter geht‘s in den Salon, und umgeben von verziertem Mahagoniholz, grünen Samtkissen und flackernden Öllampen koche ich mein Dinner. Ein Kochfreak bin ich nicht, aber mit Kochen und einem kräftigen Abendessen bewältige ich die ersten Stunden der Nachtwache.
       Ein Topf Reis steht als erstes auf dem Gasherd, dann zerlege ich die Dorade. Das zarte Fleisch hinter den Kiemen hebe ich fürs Sushi in der Nacht auf und die großen Filetstücke lege ich in den Kühlschrank. Die kleinen Stücke brate ich kurz an und koche sie in einer Sahnesauce gar. Mit einem Schuss Cognac verfeinere ich die Sauce, dann serviere ich mir die Dorade, wie es einem Geburtstagskind gebührt.
       „Voilà, Monsieur!
       Über mich selbst schmunzelnd, setze ich mich an den Salontisch, klemme die Serviette in die Shorts und greife zum Rotweinglas.
       „Happy Birthday, Captain!
       Nach dem Dinner, wie jeden Abend auf langen Passagen, lockt die Koje wie ‚das Weib‘ zum Schlaf und ich zwinge mich an ‚ihr‘ vorbei ins Cockpit hoch. Denn ein nur fünfminütiges Nickerchen würde in stundenlangem Schlaf enden.
       Ins Dunkel blickend, suche ich nach einem Thema, das mich die Nacht hindurch wach halten wird. Meistens sind es Erinnerungen an bestandene Abenteuer, die mein Herz höher schlagen lassen, aber oftmals denke ich auch an Ereignisse zurück, die mich wieder schmunzeln lassen.
       Diese Lösung, die langen Nachtwachen durchzuhalten, fand ich vor sechs Jahren in Mikronesien. Als ich mit wenig Wind über den Äquator schaukelte und den Tag herbeisehnte. Waren meine Gedanken in den Nächten zuvor hin und her gesprungen, so bissen sie sich in dieser Nacht an einem Apfel fest.
       An einem Apfel!
       Nie in meinem Leben hatte ich über Äpfel nachgedacht, sie waren überall und immer verfügbar. Ich bin mit dem Apfel groß geworden. Aber nach Jahren in der Südsee mit Bananen und Ananas verlangte mein Körper nach einem Apfel. In jener Nacht ließen mich die Gedanken an Äpfel nicht mehr los. Ihre leuchtenden Farben hatte ich vor Augen und ihren frischen Geschmack auf der Zunge. Ich sah den Apfelbaum meiner Kindheit in unserem Garten und mich mit meinen Geschwistern Äpfel pflücken. Meine Mutter sah ich die Äpfel für den Winter im Keller einlagern und sah den Apfel, den sie meinem Vater täglich zur Arbeit mitgab. Vor meinen Augen tanzten weiße Apfelblüten und ich schmeckte Apfelmus und Apfelkuchen. Im Morgengrauen saß ich wach im Beanbag, konnte nicht glauben, wie stark die Erinnerungen meine Nacht belebten.
       Seit diesem Tag halte ich mich in den Nächten auf langen Passagen mit Erinnerungen wach, blicke auf meine Weltreisen zurück und auf Abenteuer, die mir tief unter die Haut gingen. Bewusst erinnere ich mich an Erlebnisse, die mir noch heute kalte Schauer über den Rücken jagen. Wie der Kampf um Ala di Sabah im Riff auf den Malediven. Wo mich das Paradies in die Falle lockte und wir zu zerschellen drohten. Vor einem Jahr war’s, und noch immer schmerzt es, wenn ich ans Krächzen der vibrierenden Masten beim Aufschlagen auf die Korallen denke. Und an den Schock, der mich in den ersten Minuten lähmte, als ich meine Segelreise beendet sah. Dann der nahezu aussichtslose Versuch, das Boot vom Riff zu ziehen, bis eine weiße Koralle am Riffgrund mir neue Hoffnung gab. Als ihre Schönheit und mein nahendes Ende so nah beieinander lagen. Lebendig ist die Erinnerung, als kämpfte ich erneut ums Überleben meiner Ala di Sabah. Meine Herzfrequenz erhöht sich und die Erinnerung wird mich für die ersten Stunden heute Nacht wach halten:

Im Riff auf den Malediven

18. März 2008

       Es war ein Segeltag, wie ich ihn mir erträumt hatte. Der Himmel war wolkenfrei und eine leichte Brise gab mir einen geruhsamen Törn - quer durchs nördliche Atoll der Malediven. Die Route hatte ich auf meiner Seekarte markiert und auf meinem Computer geprüft. Zweiunddreißig Seemeilen ohne Hindernisse bis zur Grünen Insel im Süden des Atolls. Alle drei Segel standen im Wind, der Tiefenmesser zeigte kontinuierlich vierzig Meter und der Autopilot hielt uns auf Kurs. Ala di Sabah glitt geschmeidig durchs Wasser, und im Schatten des überdachten Steuerstands las ich Ruf der Wildnis von Jack London.
       Unbeachtet von mir wanderte die Sonne über den Zenit und die See änderte ihre Farbe. Sie wurde ein glänzendes Silber und heuchelte mir eine ungestörte See vor, bis zu den Inseln am Horizont. Ich überprüfte meine GPS-Position, korrigierte den Kurs und legte mich wieder in den Schatten. Meine Gedanken verloren sich im Ruf der Wildnis.
       Plötzlich piepte der Tiefenalarm. Krachen, Rumsen und Krächzen folgte. Schnell wie eine Katze sprang ich aus dem Beanbag und ein kurzer Rundblick offenbarte das Unfassbare: Ich war auf ein Riff gesegelt, hing mitten in Korallen fest.
       „Das kann nicht wahr sein“, schrie ich, stand wie gelähmt im Cockpit. Der Kiel schlug gegen die Korallen, die Planken ächzten. In der Hoffnung, noch wenden zu können, drehte ich das Steuerrad nach Backbord, löste alle Leinen, ließ den Wind aus den Segeln, riss sie aufs Deck.
       Nur nicht tiefer ins Riff treiben, befahl der Skipper in mir.
       Jede Welle, die achtern anschlug, hob uns einen halben Meter und drückte uns tiefer ins Riff. Das Boot erzitterte beim Aufschlagen auf die Korallen und meine Ala di Sabah schrie vor Schmerz. Ich startete den Motor, legte den Rückwärtsgang ein und gab Vollgas, wollte ein Weiterdriften verhindern. Die Bilgepumpe schaltete ich auf Dauerbetrieb falls wir leckschlugen.
       Erst in diesem Moment sah ich die Größe des Riffs. Etwa zweihundert Meter lang und einhundert Meter breit, einen halben Meter unter Wasser. Drei Bootslängen waren wir eingedrungen. Der bootslange Kiel hing zwischen Korallen fest und das Ruder zerrieb sich an einem Korallenkopf. Mit jeder Welle wurde das Boot mürbe geschlagen. Meine Gedanken überschlugen sich. Ich konnte nicht fassen im Riff zu stehen, sah meine Weltreise beendet, wusste nicht was ich tun sollte. Mein Hoffnungslosigkeit lähmte mich.
       Weiterhin schlug der Rumpf gegen die Korallen, die Masten vibrierten, die Planken erzitterten. Ala di Sabah kämpfte ums Überleben.
       Wach auf und kämpfe, schrie der Abenteurer in mir. Du musst sie hier rausholen!
       Ich griff zum Mikrophon und sandte einen Notruf:
       „Mayday, Mayday, Mayday, this is sailing vessel Ala di Sabah. Mayday, Mayday, Mayday, position east..., position north..., Sailing vessel Ala di Sabah aground on a reef, position east..., position north..., Mayday, Mayday, Mayday.
       Einige Minuten vergingen, niemand antwortete. Verzweifelt suchte ich auf dem Meer ein anderes Boot. Es gab kein anderes Boot. Erneut griff ich zum Mikrophone.
       „Mayday, Mayday, Mayday, this is sailing vessel Ala di Sabah. Mayday, Mayday, Mayday, position east..., position north.... Sailing vessel Ala di Sabah aground on a reef, position east..., position north…, Mayday, Mayday, Mayday.
       Sekundenlanges Knacken im Radio, dann meldete sich …            

 

 

‚Reisen lehrt bewusst zu leben’